Ostraum

Die Projektausstellung „Gedächtnislabyrinth SOLOVKI: Indizien, Spuren, Stimmen“ ist aus einer Studienreise nach Solovezki-Inseln (Russland) im Sommer 2016 entstanden. Die Studierenden haben sich auf die Suche nach dem kollektiven und individuellen Gedächtnis auf Solovki begeben und sich mit der widersprüchlichen Geschichte des Ortes auseinandergesetzt. Wir haben Natascha Grinina, ein Mitglied der Projektgruppe, über die Inhalte der Ausstellung ausgefragt.

Die Eröffnung der Ausstellung findet am 23.01.17, um 18 Uhr am Institut für Slawistik der Humboldt-Universität zu Berlin (Dorotheenstraße 65, 10117 Berlin) statt. Hier geht es zum Event auf Facebook.

Solovki ist ein Ort, welcher vor allem sowohl durch das Kloster und als auch das Gefängnis bekannt ist. Was haben diese zwei Institutionen im Kontext von Solovki gemeinsam?
Das ist genau die Frage, die wir uns auch gestellt haben. Auf einer Seite kann man das so sehen, dass die jahrhundertelange Geschichte des Klosters durch die Zeit des Lagers aufgespalten wurde, sodass sie in die Zeit „davor“ und „danach“ verfällt. Wir denken aber, dass das Verhältnis zwischen den beiden nicht unproblematisch ist. Denn das Kloster von Solovki war je schon seit seiner Gründung ein Ort, wo Gewaltherrscher ihre Macht ausgeübt haben. Hierher hat man schon im Zarenreich politisch Oppositionelle verbannt. Es gab ein Gefängnis, und alle, die den Herrschern nahestanden, wussten davon und fürchteten sich. Manche, die in Ungnade verfielen, haben den Zaren angefleht: „Batuschka, bloß nicht auf die Solovki!“ Und das wundert nicht, wenn man die dicken Zyklopenmauern des solovezker Kremls sich näher anschaut. Diese Mauern hielten fast 9 Jahre Belagerung fest: als die Solovezker Mönche sich gegen die kirchliche Reform des Patriarchen Nikons aufgelehnt haben und sich den Angriffen der Zarenarmee stellen mussten. Dieser Aufstand mündete übrigens in einem Blutbad. Man hat keinen gehen lassen.

Was verstehst Du unter „Kollektivgedächtnis“? Wie entsteht das Ganze aus einzelnen Erinnerungen?
Ich würde das so formulieren: ein „Kollektivgedächnis“ ist eine bestimmte Sichtweise, die alle Mitglieder eines Kollektivs – d.h. eine Gesellschaft – in Bezug auf ihre Vergangenheit teilen. Hat ein Land im Krieg verloren, so wird diese Erinnerung als Teil des Selbstverständnisses einer Nation an alle nachfolgenden Generationen weitergegeben. Ein Kollektivgedächtnis kann aber manipuliert werden: es ist nicht nur ein Faktum, sondern auch ein Politikum. Das Kollektivgedächtnis wird mithilfe von Zeichen kulturell-politischer Bedeutung geprägt und mitbestimmt, z.B. in Form von Denkmälern, staatlichen Feiertagen und dergleichen. Es kann also auch passieren, dass die Erinnerung einer bestimmten sozialen Gruppe, die in der breiten Öffentlichkeit marginalisiert wurde, verdrängt wird. Dieser Erinnerung wird kein sonderbarer Platz im Raum des kollektiven Gedächtnisses beigemessen, und sie verschwindet allmählich. So ist es, wie viele befürchten, mit der Erinnerung der ehemaligen Häftlinge der unzähligen Zwangsarbeitslager der Sowjetunion. Die Anerkennung der Schuld des Staates und der Funktionäre erfolgt nur punktuell und wird bis heute nicht als Teil des russischen Selbstverständnisses verstanden.

Welche neue Fragen nach eurer Solovki-Reise haben sich ergeben?
Als wir uns auf die Reise vorbereitet haben, haben wir darauf gehofft, auf all die Fragen, die wir uns bei der Recherche gestellt haben, Antworten vor Ort finden zu können. In der Wirklichkeit aber sind wir mit noch mehr Fragen zurückgekommen und haben uns umso mehr in die Arbeit mit historischen und literarischen Quellen gestürzt. Die Geschichte der Solovki enthält viele Widersprüchlichkeiten. Und genau das machte unsere Arbeit während dieser ganzen 6 Monate so interessant und spannend. Ich glaube, alle in unserem Team teilen die Ansicht, dass unsere Arbeit praktisch nie abgeschlossen werden kann. Es gibt noch sehr viel Raum nach oben, und eigentlich hat die ernsthafte Auseinandersetzung mit diesem Thema erst begonnen.

Quelle: https://ostraum.com/2017/01/19/gedaechtnislabyrinth-solovki-projektausstellung-an-der-hu-berlin/

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