„Paradies“ oder „asketische Arbeitskommune“

Solovki um 1900

Nach der siegreichen Abwehr britischer Kampfschiffe während des Krimkrieges erhielten die Solovki neben der spirituellen auch eine patriotische Bedeutung. Der Sieg über die Briten im Kontext des ansonsten für Russland unrühmlichen Krieges, der von 1854 bis 1856 dauerte, machte Solovki auch für Touristen attraktiver. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und bis zur Eröffnung des SLON im Jahr 1923 vollzog sich ein positiver und innovativer Wandel auf den Solovki. Sie entwickelten sich zu einem erfolgreichen Wirtschaftsunternehmen von überregionaler Bedeutung. Damit einhergehend wurde der Ausbau und die Erweiterung der Infrastruktur vorangetrieben: der Ausbau des Kanal- und Wegenetzes, Errichtung von Pilgerunterkünften und Hotel. Unter der Ägide des Archimandriten Ioanniki wurden auch besonders innovative Techniken eingeführt, die zur damaligen Zeit neu und für ein Kloster mehr als ungewöhnlich waren. 1902 wurde das erste auf den Solovki gebaute Schiff namens “Neue Vera” (Neuer Glaube) zu Wasser gelassen. Um 1910 erhielt Solovki ein Kraftwerk der Firma Siemens und schon davor, im Jahr 1905, wurde eine Radio-/Telegrafenstation eingerichtet.

Zu der positiven Entwicklung in jenen Jahren trugen vor allem die Pilgertouristen bei, die nicht nur finanzielle Mittel brachten, sondern auch mit dem Einsatz ihrer freiwilligen Arbeitsleistung die Realisierung der genannten Projekte ermöglichten. Die hohe Anziehungskraft dieses Ortes begründete sich vermutlich auch in der unerwarteten Verbindung zweier gegensätzlicher Pole: der Religiosität und der modernen Technik[1]. In den Sommermonaten strömten bis zu 20.000 Pilger, Touristen und Künstler auf die Solovki und setzten dadurch eine ganze “Tourismusindustrie” in Gang. Zur Bewältigung des steigenden Besucherandrangs wurden Personenschiffe – Vera (“Glaube” 1862) und Nadežda (“Hoffnung” 1863) – angeschafft. Die Unterbringung erfolgte in Pilgerunterkünften und einem prächtig ausgestatteten Hotel. Diese Prosperität spiegelte sich auch in der Vielzahl von Souvenirs, Kleidung und Postkarten. Solowezker Galoschen beispielsweise wurden zu einem wahren Verkaufsschlager.[2]

Zur Popularität trugen neben Postkarten auch Reportagen von namhaften Autoren bei: wie z.B. von Sergej Maksimov (um 1860), von Vladimir I. Nemirovič-Dančenko (1870er) oder von Michail Prišvin, der 1904 zum ersten Mal die Klosterinsel besuchte.

Um einen vielfältigen gedanklichen und visuellen Einblick in diese Epoche der Solovki zu ermöglichen, wurden für das Plakat zahlreiche Zitate aus den Reisetexten der genannten Autoren und Bildmaterial von zeitgenössischen Postkarten (Lejcinger[3]) sowie Bilder des berühmten Fotografen Sergej Prokudin-Gorskij[4], der schon in den ersten Jahren des 20. Jahrhunderts mit einer eigenen Dreifarbentechnik arbeitete, ausgewählt. Die Farbfotografien von Prokudin-Gorskij beeindrucken durch das feine Gespür des Fotografen für Motiv und Perspektive, die die Stimmung der Landschaft und das Licht auf den Solovki zur Geltung bringen.

Das Plakat veranschaulicht, dass Solovki während dieser Zeit zu einem mehrfach positiv konnotierten Ort wurde: der orthodoxen Tradition, aber auch der nationalen Geschichte. Zudem avancierten die Solovki zu einem Ort der Erholung, der künstlerischen Inspiration und zukunftsweisender Innovationen im Bereich der Technik, aber auch der demokratischen Organisationsformen des Klosterlebens.

 

Literatur:

[1]  Robson, Roy (2004): Solovki. The story of russia told through its most remarkable island. New Haven, London.

[2] Robson (2004).

[3]Lejcinger: Postkartensammlung des Solovecker Klosters:   http://acmus.ru/collection/otkritki/index.php?page=4  Aufgerufen am 17..07.2024

[4] Prokudin-Gorski: Libary of Congress. Prokudin-Gorskij Collection http://www.loc.gov/pictures/search/?q=%255BSolovet%25EF%25B8%25A0s%25EF%25B8%25A1kie%2520ostrova&co=prok Aufgerufen am 17.07.2024