Solovki_Bluete1900

„Paradies“ oder „asketische Arbeitskommune“

Solovki um 1900

„Hier baut man Dampfer, repariert sie, lithographiert, gerbt Leder, produziert Ziegel; hier gibt es Photographen, Porzellanmaler (finift’), Vergolder, Juweliere, Schuster, Schneider, Mechaniker, Viehzüchter, Käsehersteller, Maurer, Architekten; hier gibt es Geschäfte, großartige Wirtschaftsräume, Lager, Kvasbrauereien und Bäckereien; dem Kloster gehören zwei Dampfschiffe und ein meer-taugliches Segelschiff, auf dem die Mönche zu Fisch- und Robbenfang entlang der Murmansker Küste und dem nördlichen Eismeer ausfahren. Hier gibt es Schnitzer, Tischler, Schmiede, Töpfer, Pferdezüchter, Gärtner, Maler, Goldwäscher. Kurz gesagt, das 8 Monate von der Außenwelt abgeschnittene Kloster auf den Solovki braucht niemanden und kauft nirgendwo etwas, sondern stellt alles, was benötigt wird, selbst her, außer Getreide und Steinkohle. Diese sprudelnde Aktivität macht einen starken Eindruck auf alle, die sie gesehen und mit anderen Klöstern wie dem Sergij-Troickij-Kloster oder dem Georgskloster verglichen haben, wo nicht gearbeitet, aber trotzdem aus reichen Vorräten geschöpft wird…“  1 Nemirovič-Danchenko (Übersetzung: Susanne Frank, Mark Kaplan)

Nach der siegreichen Abwehr britischer Kampfschiffe während des Krimkrieges erhielt Solovki neben der spirituellen auch eine patriotische Bedeutung. Der Sieg über die Briten markiert den einzigen Sieg während dieses ansonsten für Russland unrühmlichen Krieges, der von 1854 bis 1856 dauerte. In der zweiten Hälfte des 19. Jh.s und bis zur Eröffnung des SLON im Jahr 1923 vollzog sich ein positiver und innovativer Wandel auf den Solovki. Das Kloster und die mit ihm verbundenen Wirtschaftsbetriebe entwickelten sich zu einem erfolgreichen Unternehmen von überregionaler Bedeutung. Damit einhergehend wurde der Ausbau und die Erweiterung von Einrichtungen und der Infrastruktur vorangetrieben (Kanal- und Wegenetz, Pilgerunterkünfte und Hotel). Unter der Ägide des Archimandriten Ioanniki wurden auch besonders innovative Techniken eingeführt, die zur damaligen Zeit neu und für ein Kloster mehr als ungewöhnlich waren. 1902 wurde das erste vollständig auf den Solovki gebaute Schiff namens „Vera“ (bzw. „Neue Vera“) zu Wasser gelassen. Um 1910 beauftragte die Klosterleitung von Solovki die deutsche Firma Siemens mit der Errichtung einer Elektrostation, und schon davor, im Jahr 1905, wurde eine Radio-/Telegrafenstation eingerichtet. 

Zu der positiven Entwicklung in jenen Jahren trugen vor allem die Pilgertouristen bei, die in ihrer Mehrheit finanzielle Mittel brachten, zum Teil aber auch mit dem Einsatz ihrer freiwilligen Arbeitsleistung die Realisierung der genannten Projekte ermöglichten. Die hohe Anziehungskraft dieses Ortes begründet sich vermutlich auch in der unerwarteten Verbindung zweier gegensätzlicher Pole: der mittelalterlichen Spiritualität und der modernen Technik2Robson (2004). In den Sommermonaten strömten bis zu 20.000 Pilger, Touristen und Künstler auf die Solovki und setzten dadurch eine ganze “Tourismusindustrie” in Gang. Zur Bewältigung des steigenden Besucherandrangs wurden Personenschiffe – Vera (1862) und Nadežda (1863) – angeschafft bzw. selbst gebaut. Die Unterbringung erfolgte in Pilgerunterkünften und einem prächtig ausgestatteten Hotel. Diese ungewöhnliche Prosperität findet auch in der Vielzahl von Souvenirs sowie Kleidung und Postkarten ihren Niederschlag. Solovezker Galoschen beispielsweise wurden zu einem wahren Verkaufsschlager und erlangte überregionale Bekanntheit3Robson (2004).

Zur Popularität trugen neben Postkarten auch literarische Reportagen von namhaften Autoren bei: wie z.B. von Sergej Maksimov (um 1860), von Vladimir I. Nemirovič-Dančenko (1870er) oder von Michail Prišvin, der 1904 zum ersten Mal die Klosterinsel besuchte. Und nicht zuletzt bildende Künstler wie Michail Nesterov machten durch ihre die Solovki thematisierenden Gemälde auf die abgelegene und doch historisch so bedeutsame Klosterinsel aufmerksam. 

Um einen vielfältigen gedanklichen und visuellen Einblick in diese Epoche der Solovki zu ermöglichen, wurden für das Plakat zahlreiche Zitate aus den Reisetexten u.a. der genannten Autoren und Bildmaterial von zeitgenössischen Postkarten (Lejcinger4Lejcinger: Postkartensammlung des Solovecker Klosters: http://acmus.ru/collection/otkritki/index.php?page=4 Aufgerufen am 31.07.2017) sowie Bilder des berühmten Fotografen Prokudin-Gorskij5Prokudin-Gorski: Libary of Congress. Prokudin-Gorskij Collection. http://www.loc.gov/pictures/search/?q=%5BSolovetskie%20ostrova&co=prok Aufgerufen am 31.07.2017, der schon in den ersten Jahren des 20. Jh.s eine Dreifarbentechnik erfand und anwendete, ausgewählt. Die Farbfotografien von Prokudin-Gorskij beeindrucken auch durch das feinfühlige Gespür des Fotografen für Motiv und Perspektive, dank denen die Faszination der Solovki besonders akzentuiert wird.

Während dieser Zeit wurden die Solovki zu einem mehrfach positiv konnotierten Ort der Spiritualität, der russisch-orthodoxen Traditionen, aber auch ein Orientierungspunkt für nationales Bewusstsein. Zudem avancierten die Solovki zu einem Ort der Erholung, der künstlerischen Inspiration und zukunftsweisender Innovationen im Bereich der Technik, aber auch der demokratischen Organisationsformen des Klosterlebens.

 

Literatur:

Nemirovič-Dančenko, Vasilij (2004): Solovki. Vospominanija i rasskazy iz poezdki s bogomol’cami // na kladbiščach. Vospominanija i vpečatlenija. Moskva.

Robson, Roy (2004): Solovki. The story of russia told through its most remarkable island. New Haven, London. 155-201.