12 Gedaechnitslabyrinth

Im Gedächtnisstreit

Über die Schwierigkeit dem Lauf der Geschichte auf den Solovki zu folgen.

Das Plakat stellt einen Versuch dar, die Impressionen der Studierendengruppe während der Reise auf die Solovki festzuhalten. In Form eines Labyrinths wird hier eine Art “Feldtagebuch” visualisiert, bei dem es auf die Synthese aus Dokumentation von wichtigen Orten der Hauptinsel und der gewonnenen Eindrücke ankommt. Nicht zuletzt soll hiermit auch die persönliche – gedankliche und topographische – Verwirrung der Besucher*innen zum Ausdruck gebracht werden. In den verschiedenen Zweigen bzw. Armen des Labyrinths sind Beschreibungstexte versteckt. Sie halten die Stimmung in einem gegebenen Moment fest und vermitteln darüber hinaus weiterführende Informationen über einzelne Stationen der Reise.

Obwohl das Plakat keine strenge chronologische Ordnung aufweist, kann es von links oben nach rechts unten gelesen werden: diese Diagonale kann stellvertretend für den Fortschritt der Reise von der Ankunft bis zur Abfahrt von der Hauptinsel gelesen werden. Unter den wichtigsten Reisestationen werden aufgelistet:

  • der Sekirnaja-Berg: hier befand sich in der Lagerzeit eine für ihre grausamen Foltermethoden berüchtigte Strafhaftzelle. Heute mündet der Wanderweg für Touristen ganz oben in einer Verzweigung, von der man entweder zu der sanierten Kapelle und dem Panoramapunkt gelangt, oder zu der mehr improvisierten als legal errichteten Gedenkstätte mit Massengräbern, wo an die Opfer der hier vollstreckten Hinrichtungen gemahnt wird;
  • das in Renovierung befindliche Klosterterritorium, wo bis heute die Klostergemeinschaft und die Mitarbeiter des hiesigen Museums die Räumlichkeiten teilen und sich seit mehreren Jahren in einem angeheizten Interessenskonflikt befinden;
  • die “Allee der Erinnerung”mit dem sogenannten “Solowezker Gedenkstein”, einem von insgesamt drei von der Menschenrechtsorganisation Memorial aufgestellten Gedenksteinen (zwei weitere befinden sich in Moskau auf dem Lubjanka-Platz, direkt gegenüber dem KGB-Gebäude, und in Sankt-Petersburg auf dem Troizker-Platz, gegenüber dem “Haus der politisch Verfolgten”, welches an die Geschichte der Verbannung im Zarenreich erinnert). Auf den Solovki ist dieser Stein von weiteren kleineren Steinen umgeben, die jeweils eine bestimmte Nation unter den Opfern würdigt – eine seit Beginn der 2000er verbreitete, aber nicht ganz unumstrittene Gedenkpraxis;
  • der Algenshop mit Kosmetikprodukten: scheinbar nur eine Erscheinung der neuesten Gegenwart, verweist er tatsächlich auf eine viel längere, auf die Zeiten des Arbeitslagers zurückgehende Geschichte der Algenverarbeitung auf den Solovki, an welcher die forschenden Lagerhäftlinge, darunter auch Pavel Florenskij, Anteil hatten.

Vieles, was wir auf den Solovki gesehen haben, widersetzte sich einer klaren Einordnung in bekannte Muster oder Kategorien. So traf das vom wertenden Auge der Historiker*in bereits vorgegebene Geschichtsnarrativ mancherorts auf private “Auslegungen” der Geschichte, Sakrales und Profanes überschnitten sich genauso wie Vergangenes und Gegenwärtiges, Sichtbares und Unsichtbares, Politisches und Persönliches. Insgesamt soll diese Sammlung von Momentaufnahmen zum Nachdenken über die Mannigfaltigkeit der verschiedenen Bedeutungen dieses Ortes anregen, sowie über den im öffentlichen Raum ausgetragenen “Gedächtnisstreit” (Link).